15 Apr. BAG: Kein Anscheinsbeweis des Zugangs einer Kündigung bei Versendung durch Einwurf-Einschreiben
BAG, Urt. v. 30.01.2025 – 2 AZR 68/24
Der Praxishinweis für Arbeitgeber
Die Zustellungsmodalitäten für Kündigungen beschäftigen die Arbeitsgerichte immer wieder. Aus anwaltlicher Sicht wird – sollte eine persönliche Übergabe nicht möglich sein – von einer Zustellung von Kündigungen per Post dringend abgeraten, wie der untenstehende Fall eindrücklich zeigt. Selbst bei einem Einwurf-Einschreiben sieht das BAG das Indiz für eine korrekte Zustellung nicht gegeben, da das Einwurf einschreiben keinen Hinweis über die Person des Zustellers oder die Art der Zustellung gibt. Diese sind aber für den ordnungsgemäßen Nachweis einer Zustellung dringend nötig. Aus diesem Grund versenden Behörde und Gerichte wichtige Dokumente stets der Postzustellungsurkunde (PZU).
Auch aus praktischen Gesichtspunkten ist von einer Zustellung per Post abzuraten, da eine verbindliche Zustellung an einem bestimmten Tag (oder sogar noch am selben Tag) nicht gewährleistet ist. Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass die Kündigungsfrist nicht eingehalten wird und ein weiterer Monat Gehaltszahlung fällig wird.
Aus diesem Grund raten wir dringend dazu, die Zustellung mit einem qualifizierten Kurierservice vorzunehmen, der sowohl Uhrzeit, den Namen des Zustellers – der ggfs. später als Zeuge im Prozess auftreten kann – und die Art der Zustellung dokumentiert. Dieser kostet zwar in der Regel mehr als die Deutsche Post, ist aber belastbarer und zuverlässiger.
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Der Fall
Die Parteien streiten im Revisionsverfahren darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch eine Kündigung der Beklagten vom 26. Juli 2022 beendet worden ist. Die Klägerin war seit Mai 2021 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 14. März 2022 sprach die Beklagte eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung aus. Die Klägerin erhob hiergegen am 18. März 2022 Kündigungsschutzklage und machte zugleich ihre bestehende Schwangerschaft geltend. Das Arbeitsgericht stellte mit Urteil vom 11. Januar 2023 rechtskräftig fest, dass diese Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Mit Bescheid vom 25. Juli 2022 erteilte das zuständige Regierungspräsidium die nach § 17 Abs. 2 MuSchG erforderliche Zustimmung zur Kündigung einer Schwangeren. Daraufhin erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2022 erneut die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung zum 30. September 2022. Die Klägerin bestritt den Zugang dieses Kündigungsschreibens. Die Beklagte trug vor, das Kündigungsschreiben sei per Einwurf-Einschreiben am 26. Juli 2022 bei der Deutschen Post AG eingeliefert und laut Sendungsverfolgung am 28. Juli 2022 zugestellt worden. Ein Auslieferungsbeleg wurde jedoch nicht vorgelegt. Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26. Juli 2022 nicht beendet worden ist.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr auf die Berufung der Klägerin hin statt. Mit ihrer Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, blieb jedoch erfolglos..
Die Entscheidung
Die zulässige Revision der Beklagten erwies sich als unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 26. Juli 2022 weder außerordentlich noch ordentlich beendet worden ist.
Zentraler Gesichtspunkt der Entscheidung war, dass der Zugang der Kündigung nicht nachgewiesen werden konnte. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trägt der Arbeitgeber gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB die Darlegungs- und Beweislast für den Zugang einer Kündigungserklärung. Die Klägerin hat den Zugang des Kündigungsschreibens ausdrücklich bestritten, und die Beklagte konnte den Zugang nicht beweisen. Ein Anscheinsbeweis für den Zugang ergibt sich auch nicht aus dem Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens oder dem online abgerufenen Sendungsstatus, der eine Zustellung am 28. Juli 2022 ausweist. Für einen Anscheinsbeweis wäre ein dokumentiertes und nachvollziehbares Zustellverfahren erforderlich, insbesondere ein Auslieferungsbeleg mit Angaben zum Zusteller, zum Zeitpunkt und zum Ort der Zustellung. Solche Nachweise konnte die Beklagte jedoch nicht vorlegen, noch konnte sie das Zustellverfahren im Einzelnen erläutern.
Zwar mag ein Einwurf-Einschreiben gegenüber einem einfachen Brief eine höhere Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlichen Zugang nahelegen. Dennoch reicht der bloße Sendungsverlauf – ohne weitere qualifizierte Zustellnachweise – nicht aus, um den Zugang rechtlich verbindlich nachzuweisen. Der von der Beklagten vorgelegte Sendungsvermerk der Deutschen Post AG ersetzt keinen Auslieferungsbeleg, da er keine Angaben zur Person des Zustellers oder zur Art der Zustellung enthält. Damit fehlt es an der Grundlage für die Annahme eines typischen Geschehensablaufs, wie es für einen Anscheinsbeweis erforderlich wäre.
Auch die Behauptung der Beklagten, das Bestreiten des Zugangs durch die Klägerin sei unglaubwürdig, blieb ohne Erfolg. Sie hat keine hinreichenden konkreten Tatsachen dargelegt, die die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts in Zweifel ziehen könnten.