15 Juli LAG Köln: Rückkehr aus dem Home-Office
LAG Köln, Urt. v. 11.07.2024 – 6 Sa 579/23
Der Praxishinweis für Arbeitgeber
Arbeitgeber müssen bei der Gestaltung einer Home-Office-Vereinbarung für ihre Mitarbeiter eine Reihe von Stolpersteinen beachten. Dazu gehören insbesondere:
Klare Widerrufsklausel verankern:
Nehmen Sie in die Home‑Office‑Vereinbarung eine ausdrückliche Klausel auf, die das einseitige Widerrufsrecht regelt – idealerweise mit Formvorschrift (schriftliche Anordnung) und Mindestkündigungsfrist zur Wahrung des Billigkeitsgrundsatzes.
Sachliche Widerrufsgründe definieren:
Legen Sie transparent dar, unter welchen betrieblichen Umständen der Widerruf erfolgen kann (z. B. Standortschließung, sicherheitsrelevante Tätigkeiten, Datenschutzanforderungen). So vermeiden Sie pauschale Behauptungen und stärken die gerichtliche Überprüfbarkeit.
Interessenabwägung dokumentieren:
Führen Sie vor Widerruf eine schriftliche Interessenabwägung durch: Notieren Sie, warum Präsenz im konkreten Einzelfall erforderlich ist, und dokumentieren Sie etwaige Kompensationsangebote (z. B. Umzugskostenzuschuss, Übergangsfristen). Dies belegt im Streitfall, dass Sie Ihr Direktionsrecht im Rahmen billigen Ermessens ausgeübt haben.
Der nachfolgende Fall zeigt, wie eine fehlerhafte Home-Office-Vereinbarung zum Boomerang für den Arbeitgeber werden kann.
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Der Fall
Der Kläger, seit Januar 2017 als Fachbereichs- und Niederlassungsleiter bei einer ingenieurtechnischen Dienstleisterin im Automotive-Bereich beschäftigt, übte seine Tätigkeit seit rund drei Jahren zu etwa 80 % aus dem Home Office aus. Sein vertraglicher Einsatzort war formal „die gesamte Unternehmensgruppe“; Präsenz am Standort K in O erfolgte allenfalls für administrative Erledigungen oder Projektgespräche vor Ort. Nachdem ein Hauptkunde seinen Dienstleistungsvertrag gekündigt und das Unternehmen den Standort K vollständig zum 30.04.2023 geschlossen hatte, versetzte die Arbeitgeberin den Kläger mit Schreiben vom 24.03.2023 an den mehr als 500 km entfernten Standort M und widerrief zugleich die Home‑Office‑Erlaubnis. Hilfsweise erklärte sie für den Fall, dass die Versetzung unwirksam sei, eine Änderungskündigung verbunden mit dem Angebot, künftig in M unter gleichen Bedingungen tätig zu sein. Der Kläger lehnte ab, bot stattdessen an, seine Arbeit weiter im Home Office zu erbringen, und erhob Klage gegen Versetzung und Kündigungsschutzänderungskündigung.
Die Entscheidung
Das LAG Köln bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Köln und wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück. Das Gericht traf dabei folgende wesentlichen Feststellungen:
Änderungskündigung als milderes Mittel:
Selbst die hilfsweise ausgesprochene Änderungskündigung hielt einer arbeitsrechtlichen Prüfung nicht stand. Sie war sozial ungerechtfertigt, weil weder dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG noch ein milderes Mittel (Weiterarbeit im Home Office) hinreichend geprüft wurden.t.
Weisungsrecht und Billigkeitsermessen (§ 106 GewO):
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers erlaubt grundsätzlich, den Arbeitsort einseitig zu ändern; es unterliegt aber der Kontrolle des „billigen Ermessens“. Damit verbunden ist auch die Befugnis, eine zuvor eingeräumte Home‑Office‑Erlaubnis zu widerrufen – sofern dies angemessen ist. Hier hat die Arbeitgeberin jedoch keine überwiegenden sachlichen Interessen dargelegt, die den Widerruf rechtfertigen: Weder konkrete betriebliche Gründe noch eine plausible Darlegung, warum Präsenzarbeit am Standort M zwingend erforderlich sei, wurden vorgetragen. Ein generelles Konzept „Präsenz vor Ort“ genügt nicht, wenn in der Praxis bereits seit Jahren weitgehend im Home Office gearbeitet wurde und die Projekte ohnehin mobil und international betreut werden.
Vertragsänderung durch langjährige Home‑Office‑Praxis:
Da Arbeitgeber und Arbeitnehmer drei Jahre lang Homeoffice praktiziert und dadurch konkludent eine Vertragsänderung herbeigeführt hatten, konnte die Arbeitgeberin die Home‑Office‑Erlaubnis nicht ohne weiteres einseitig zurücknehmen. Würde sie dies versuchen, läge ein Verstoß gegen die Billigkeitsgrenzen des Direktionsrechts vor.
Fazit
Dieses Urteil erinnert Arbeitgeber daran, dass Home‑Office‑Regelungen – einmal etabliert – nicht beliebig widerrufen werden können. Ein wirksamer Widerruf setzt eine präzise Vereinbarung, nachvollziehbare sachliche Gründe und eine sorgfältig dokumentierte Interessenabwägung voraus. Ohne diese Sorgfalt ist das Direktionsrecht in seiner Ausübung beschränkt und Versetzungs‑ oder Kündigungsmaßnahmen drohen vor Gericht zu scheitern.